„Einfach mal machen“: Fachtag zur Berliner Jugendstrategie

Berlin hat keine Jugendstrategie. Auf unsere Initiative hin haben SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke die Erarbeitung einer Jugendstrategie im Koalitionsvertrag verankert. Bei unserem Fachtag am 30. November 2022 kamen Vertreter_innen aus Politik, Verwaltung, Fachöffentlichkeit und der Jugendarbeit aus Berlin und mehreren Bundesländern zum Austausch zusammen, wie Berlin diese Jugendstrategie mit Leben füllen kann.

Der letzte Kinder- und Jugendbericht des Senats ist älter als Berlins jüngste Abgeordnete. Laut Gesetz soll eigentlich jede Legislaturperiode ein solcher Bericht erstellt werden. Das ist seit dem Jahr 2000 nicht mehr passiert. Die Abgeordneten reagieren verblüfft, als das Thema in der Podiumsdiskussion beim Landesjugendring-Fachtag „Vom Europäischen Jahr der Jugend zu einer Berliner Jugendstrategie“ im November 2022 aufkommt. „Das kann sinnvoll sein“, meint Silke Gebel, die Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen, „darf aber auch nicht zum Papiertiger verkommen.“

Die Kinder- und Jugendberichte müssten dann auch gelesen werden, betont Ellen Haußdörfer von der SPD Berlin und Paul Fresdorf, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP ergänzt gar, man habe durch das Berliner Jugendfördergesetz inzwischen ein „ganz gutes Gefühl“ für Jugendpolitik entwickelt, auch ohne Jugendberichte. Doch vielleicht wäre es besser, Jugendpolitik an Hand eines solchen Berichts zu machen, der mit Daten und Fakten die Lebenslagen junger Menschen in Berlin darstellt – statt nur nach Gefühl?

Es sind solche Fragen, die auf dem Weg zu einer Berliner Jugendstrategie ausgelotet werden müssen. Die Wiederaufnahme von regelmäßigen Kinder- und Jugendberichten ist da nur eine Säule, die der Landesjugendring Berlin sieht. Weitere sind die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre, die verbindliche Beteiligung von Kindern und Jugendlichen oder ein Jugendcheck, bei dem jedes Gesetz erst auf seine Auswirkungen für junge Menschen bewertet werden muss, ehe es verabschiedet wird. Diese Schwerpunkte ziehen sich durch das ganze Programm des Landesjugendring-Fachtags.

Von Bundesländern lernen, die schon Ansätze für Jugendstrategien haben

In Fachforen wurden Pläne geschmiedet, in Vorträgen aus der Praxis berichtet: So legte Heidi Schulze von der Arbeitsgemeinschaft für Kinder und Jugendhilfe dar, warum gerade in diesen Zeiten eine eigenständige Jugendpolitik so notwendig ist: Gerade nach der Corona-Pandemie sei das Vertrauen junger Menschen in die staatlichen Strukturen erschüttert. Rainer Wiebusch vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellte die Jugendstrategie auf Bundesebene und den Nationalen Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung vor. Er betonte dabei, Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey wisse eigentlich, wie man eine Jugendstrategie voranbringt. Als Bundesministerin habe sie das schließlich schon einmal geschafft.

In den Fachforen am Nachmittag ging es dann darum, von Vertreter_innen der Jugendarbeit aus anderen Bundesländern zu lernen, in denen es bereits Ansätze für Jugendstrategien gibt: Seit 2011 wählen in Brandenburg 16- und 17-Jährige, mit einer Reihe Maßnahmen zu politischer Bildung wurde der Prozess begleitet. Thüringen probt den Jugendcheck auf Landesebene unter Begleitung des Kompetenzzentrums Jugendcheck. In mehreren Bundesländern gibt es gesetzliche Regelungen für eine verbindliche Beteiligung junger Menschen auf kommunaler Ebene, beispielsweise in Baden-Württemberg und Brandenburg. Die Landes-Kinder- und Jugendberichte aus Sachsen-Anhalt und Sachsen wurden in einem weiteren Fachforum vorgestellt.

All diese Elemente sind gute Bausteine für eine umfassende Jugendstrategie. Das wurde im Austausch immer wieder deutlich. Sie alle sollten Teil einer Jugendstrategie sein. Das Ziel: Kinder und Jugendliche bei allen Entscheidungen in allen politischen Ressorts mitzudenken – egal ob es dabei um Wohnen, Mobilität, Ausbildung oder Sicherheit geht. Denn jede einzelne Entscheidung der Politik hat auch immer ganz direkte Auswirkungen auf das Leben junger Menschen.

Von der Senats-AG zur Jugendstrategie in eineinhalb Jahren

Viele gute Ansätze können für Berlin übernommen werden, den Worten müssen nur Taten folgen. „Man muss es halt einfach mal machen!“ fasst Rainer Wiebusch seine Erfahrung mit der Erarbeitung der Jugendstrategie auf Bundesebene in seinem Vortrag zusammen. So kompliziert sei das alles nicht: Erst brauche es eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe des Senats und einen begleitenden Beirat aus Jugendarbeit und Zivilgesellschaft, dann einen Gesetzentwurf und eineinhalb Jahre später hätte man eine solche Jugendstrategie beschlossen. Es ist wohl, wie Kultursenator Klaus Lederer in seiner Fachtags-Begrüßung sagte: „Nichts passiert in der Politik ohne Druck. Motivieren Sie die Abgeordneten aller Fraktionen unaufhörlich, jugendliche Interessen mitzudenken.“

Präsentationen der Vorträge und Fachforen der Fachtagung Jugendstrategie

Wir bieten die Präsentationen des Fachtags zum Download an:

Der Fachtag „Vom Europäischen Jahr der Jugend zu einer Berliner Jugendstrategie“ wurde gefördert von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa und der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie im European Youth Year der Europäischen Kommission 2022.

Bildergalerie Fachtag Jugendstrategie

© LJR Berlin, Fotos: Dirk Lässig/Charles Yunck