Eine Jugendstrategie für Berlin: „Schauen, was junge Menschen brauchen“
Eine Jugendstrategie hat Berlin bislang noch nicht, anders als auf Bundesebene oder in einigen anderen Bundesländern. In ihrem Koalitionsvertrag hat die Berliner Regierung die Erarbeitung einer Jugendstrategie verankert. Worauf kommt es dabei an? Ein Interview mit Tilmann Weickmann, Geschäftsführer des Landesjugendring Berlin.
Die Landesjugendring-Forderung nach einer Berliner Jugendstrategie hat es in den Koalitionsvertrag der Regierung von Rot-Grün-Rot geschafft. Warum brauchen wir denn eine Jugendstrategie?
Eigentlich ist es ganz einfach: Jede einzelne Entscheidung der Politik hat auch immer ganz direkte Auswirkungen auf das Leben junger Menschen. Deshalb muss sich die Politik fragen, unter welchen Rahmenbedingungen junge Menschen in dieser Stadt eigentlich gut aufwachsen können. Darüber gab es in Berlin noch nie eine Debatte. Der Blick der Politik auf Kinder und Jugendliche ist da sehr eingeschränkt. Und das war auch schon vor der Corona-Pandemie so, sie hat das aber auch nochmal ganz klar verdeutlicht: Auch hier wurde nie gefragt, welche Rahmenbedingungen junge Menschen brauchen, um gut durch die Pandemie zu kommen. Viele Kinder und Jugendliche haben jetzt gravierende psychosoziale Probleme. Und das macht deutlich, wie schlecht es ist, wenn man nicht über alle Ressorts hinweg schaut, was junge Menschen brauchen.
Der Weg wäre also eine eigenständige Jugendpolitik für das ganze Land Berlin, bei der alle Politikbereiche mitziehen müssen?
Genau. Bisher hat Politik Kinder und Jugendliche immer nur in einzelnen Bereichen im Blick, zum Beispiel beim Thema Schule oder bei Ausbildungsplätzen. Es wird aber nie ein übergeordneter Zusammenhang hergestellt. All das lässt sich auch nicht einfach bei der Jugendverwaltung abladen, weil schlichtweg alle Politikfelder betroffen sind: Das Ressort für Stadtentwicklung muss junge Menschen bei der Gestaltung des öffentlichen Raums berücksichtigen, die Innenpolitik muss zum Beispiel schauen, dass sich auch junge Menschen sicher und wohl in der Stadt fühlen, die Verkehrspolitik muss auf dem Schirm haben, dass junge Menschen vorwiegend zu Fuß, per Fahrrad und ÖPNV unterwegs sind, in der Wohnungspolitik muss man sicherstellen, dass Jugendliche bezahlbaren Wohnraum finden können, wenn sie von zu Hause ausziehen – und so weiter. Aus diesem Grund brauchen wir eine ressortübergreifende Jugendstrategie in Berlin.
Was kann so eine Jugendstrategie denn alles beinhalten?
Zwei Dinge sind da aus meiner Sicht ganz zentral: Regelmäßige Jugendberichte und ein Jugendcheck bei Gesetzen. Als erstes braucht es eine sozialwissenschaftliche Bestandsaufnahme, wie die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen in Berlin eigentlich aussieht. Das ist für mich eine zwingende Voraussetzung, ehe man eine Jugendstrategie entwickelt. Der Senat ist eigentlich schon jetzt dazu verpflichtet, in regelmäßigen Abständen Jugendberichte zu erstellen. Das ist aber schon lange nicht mehr passiert. Es ist absolut notwendig, dass es solche Jugendberichte zukünftig wieder gibt, und zwar regelmäßig. Das andere wäre die Einführung eines Jugendchecks, mit dessen Hilfe alle Gesetzesvorhaben auf ihre Auswirkungen auf junge Menschen durchleuchtet werden. Auf Bundesebene und in einigen Bundesländern gibt es das schon, das brauchen wir auch in Berlin.
Und wie funktioniert so ein Jugendcheck in der Praxis?
Immer wenn der Senat oder eine Fraktion einen Gesetzentwurf ins Abgeordnetenhaus einbringen will, müssen sie eine Gesetzesfolgenabschätzung vorlegen, welche Auswirkungen ihr Gesetz auf Kinder und Jugendliche haben könnte. Erstellt wird diese Beschreibung von einer unabhängigen Prüfstelle. Diese Beschreibung muss den Gesetzentwürfen beigelegt werden, die ins Parlament eingebracht werden. Das Gesetz kann dann entsprechend der Empfehlung angepasst werden. Es kann zwar auch immer noch unverändert durchgebracht werden, aber niemand kann später sagen: Oh, wir haben ja gar nicht gewusst, welche negativen Folgen unser Gesetz für Kinder und Jugendliche hat. Der Jugendcheck schafft somit eine gewisse Transparenz und ein Bewusstsein dafür, dass Kinder und Jugendliche von Gesetzesänderungen in allen möglichen Ressorts direkt betroffen sind.
Der Landesjugendring schlägt vor, dass die Jugendstrategie von einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe des Berliner Senats entwickelt werden sollte. Würde der Landesjugendring in dieser Arbeitsgruppe gerne mitarbeiten?
Auf jeden Fall! In erster Linie wäre es natürlich eine Arbeitsgruppe des Senats. Wir finden aber, sie wäre gut beraten, sich von stadtweiten Akteuren der Kinder- und Jugendarbeit beraten zu lassen. Und dazu würden auch wir gehören.