Das Gemeinwohl am Schießstand verteidigen?! Bündnis kritisiert Start von „Dein Jahr für Deutschland“
01.04.2021 | Heute startet der neue Freiwilligendienst im Heimatschutz „Dein Jahr für Deutschland“ des Bundesverteidigungsministeriums. Die so verpackte militärische Grundausbildung ist respektlos gegenüber den bestehenden Freiwilligendiensten. Ein Bündnis von Freiwilligendiensten aus Berlin und Brandenburg kritisiert das neue Programm in einer Stellungnahme scharf, darunter auch der Landesjugendring Berlin.
Wie fördert man gesellschaftliches Engagement zum Wohle der Gemeinschaft? Für Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer scheint das klar: Mit einem Freiwilligendienst im „Heimatschutz“, bei dem in Zukunft pro Jahr 1.000 Freiwillige eine 7-monatige Grundausbildung und fünf Monate Dienst in der Reserve leisten sollen. „Du lernst alles über politische Bildung und den Gefechtsdienst, absolvierst die Waffen- und Schießübungen sowie körperliche Trainingseinheiten“, ist auf der Website der Bundeswehr zum neuen Freiwilligendienst zu lesen. Der für Freiwilligendienste übliche Bildungsaspekt fehlt im neuen Format der Bundeswehr gänzlich, kritisiert das Bündnis aus Freiwilligendiensten aus Berlin und Brandenburg in seiner Stellungnahme.
„Wir machen dieses Angebot nicht auf der Basis einer Verpflichtung, sondern wir machen es für und mit Menschen, die sich freiwillig engagieren wollen“, sagt Kramp-Karrenbauer im Deutschlandfunk. Der Dienst „Dein Jahr für Deutschland“ wirft jedoch Fragen der Arbeitsmarktneutralität auf. In den Jugendfreiwilligendiensten ist Arbeitsmarktneutralität eine zentrale gesetzliche Vorgabe für Freiwillige. Aber ist durch den Erwerb einer Grundausbildung in der Bundeswehr die Abgrenzung von bürgerschaftlichem Engagement und beruflicher Tätigkeit noch klar gegeben? Auch diesen Punkt prangert das Bündnis aus Berlin und Brandenburg an, zu dem unter anderen die Diakonie, die Arbeiterwohlfahrt und die Landesjugendringe aus beiden Bundesländern gehören.
1.400 Euro für „Dein Jahr für Deutschland“, 330 Euro für ein FSJ
Ganz offensichtlich versucht das Bundeswehr-Programm, den positiven Begriff des Freiwilligendienstes für sich und die Rekrutierung von neuen Soldat_innen zu nutzen. Seit Jahrzehnten sind die Freiwilligendienste des Freiwilligen Sozialen Jahres, des Freiwilligen Ökologischen Jahres und des Bundesfreiwilligendienstes etabliert. Junge Menschen leisten hier einen wertvollen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, ob in der Jugendarbeit, der Kranken- und Altenpflege, der Arbeit mit Menschen mit Behinderung, dem Umweltschutz oder im kulturellen Bereich. „Zur Förderung von gesellschaftlichem Engagement braucht es keinen neuen Dienst bei der Bundeswehr – es braucht einen Ausbau der bestehenden Dienste“, sagt Ramona Hinkelmann, Vorsitzende des Landesjugendring Berlin.
In Berlin und Brandenburg entscheiden sich jedes Jahr etwa 2.800 Menschen für einen Freiwilligendienst. Das Interesse der jungen Menschen ist deutlich höher, auf jede freie Stelle kommen zwei bis drei Bewerbungen. Auch der Landesjugendring Berlin ist Träger des Freiwilligen Sozialen Jahres. Seit 2010 vermittelt er jedes Jahr 40 Freiwillige in Jugendverbände, Jugendbildungsstätten und andere Träger der Jugendarbeit. Dafür erhalten die Freiwilligen derzeit ein monatliches Taschengeld von 330 Euro. Mehr ist dafür vom Land Berlin nicht vorgesehen. Nicht einmal die Angleichung an das Freiwillige Ökologische Jahr, hier sind es 510 Euro, scheint umsetzbar. Bei „Dein Jahr für Deutschland“ gibt es 1.400 Euro netto.
Freifahrt mit der Deutschen Bahn im Heimatschutz, FSJler_innen müssen ÖPNV selbst zahlen
Natürlich stehen finanzielle Gründe beim Freiwilligendienst nicht im Vordergrund. Die meisten Jugendlichen können sich das FSJ aber ohne Unterstützung der Eltern nicht einmal leisten. Dabei sollte es eigentlich kein Privileg sein, sich freiwillig engagieren zu dürfen. Seit Jahren setzen sie sich unter dem Motto #freiefahrtfuerfreiwillige für kostenlosen öffentlichen Nahverkehr für die Freiwilligen ein. Bei „Dein Jahr für Deutschland“ gibt es freie Fahrt mit der Deutschen Bahn einfach obendrauf. Der Kampf für ein wenig bessere Bedingungen für das FSJ ist dagegen mehr als mühsam. Die Freiwilligen in der Bundeswehr besserzustellen, wirkt da fast schon respektlos.
Für den neuen militärischen Dienst wird mit hohem Marketing- und Werbeaufwand geworben, der freiwillige Wehrdienst mit einem guten Sold ausgestattet. Schließlich möchte man so den Dienst für junge Schulabgänger_innen attraktiv gestalten. Das kann zu einem Konkurrenzverhältnis zu den etablierten, sozialen Freiwilligendiensten führen. „Es ist schlichtweg ein Hohn, „Dein Jahr für Deutschland“ mit dem Begriff „Freiwilligendienst“ gleichzusetzen“, sagt Hinkelmann.