Beitrag: Einordnung (post)migrantischer Jugendverbände

Jugendliches Engagement in Migrant_innenorganisationen: Das JEM-Projekt vom Bundesverband der djo richtet sich an engagierte Jugendliche und Erwachsene aus (Post)Migrant_innenorganisationen und aus den jeweiligen Communities im gesamten Bundesgebiet. In einem Beitrag in der JEM-Broschüre "Einordnungen, Erfahrungen, Empfehlungen" schreibt unsere Grundsatzreferentin Jaqueline Kauka über den Status quo der (post)migrantischen Jugendverbandslandschaft.

Den Beitrag veröffentlichen wir hier im Wortlaut mit freundlicher Genehmigung von djo Deutsche Jugend in Europa, Bundesverband e.V.:

Obgleich postmigrantische Jugendverbände seit Jahrzehnten als Orte der Jugendarbeit, der politischen Bildung, des Empowerments und der Interessenvertretung ein wichtiger, unersetzbarer Bestandteil der Jugendverbandslandschaft sind, stoßen viele Verbände noch immer an Grenzen, wenn es darum geht, sich auch strukturell zu etablieren. Die Etablierung in den Strukturen der Jugendverbandslandschaft bzw. der Jugendhilfesystematik ist ein relevanter Faktor für den Aufbau einer verbandlichen Infrastruktur, die der Verbandsarbeit und einem langfristigen Engagement eine sichere Grundlage gibt.

Jugendringe stehen hier in der Verantwortung, postmigrantische Verbände in ihren Zugängen in diese Strukturen zu unterstützen. Aus ihrem Selbstverständnis als Interessenvertretungen junger Menschen mit dem Ziel, deren Partizipation in Politik und Gesellschaft zu fördern, erwächst ein jugendpolitischer Auftrag: sich auch für die Stärkung von postmigrantischen Verbänden einzusetzen und einzufordern, dass ihre Perspektiven in politische Diskurse und Entscheidungsprozesse einfließen.

Öffnungsprozesse der Jugendverbandslandschaft

Seit langer Zeit haben sich Jugendringe im Rahmen von diversitätssensiblen Öffnungsprozessen auf den Weg gemacht, diese Aufgabe zu erfüllen. Diese Prozesse haben sich inhaltlich weiterentwickelt, indem mittlerweile vor allem machtkritische Perspektiven und Reflexionsprozesse in den Vordergrund gerückt sind. Auch vorangegangene Konzepte der interkulturellen Öffnung hatten generell sowohl die Stärkung der Verbände als auch ihre Etablierung in der Jugendhilfesystematik zum Ziel.

Jedoch führt eine deutlich selbst- und machtkritischere Perspektive der Jugendringe dazu, die Hürden, vor denen postmigrantische Verbände stehen, in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext zu verorten. Denn während auf den ersten Blick alle Jugendverbände die gleichen Zugangsvoraussetzungen erfüllen müssen, gestalten sich auf verbandsindividueller Ebene die Wege dorthin unterschiedlich und sind für postmigrantische Verbände nicht losgelöst von Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen zu sehen, die den Zugängen entgegenstehen. Mittlerweile sind in vielen Jugendringen postmigrantische Jugendverbände Mitglied und zum Teil auch in deren Vorständen vertreten. Dennoch sind postmigrantische Verbände noch immer unterrepräsentiert in der Jugendverbandslandschaft. 

Strukturen, Hürden, Strategien

Jugendverbände brauchen eine sichere finanzielle Förderung und personelle Ausstattung für eine verbandliche Infrastruktur, die Grundlage für eine langfristige Absicherung der Jugendarbeit ist. Die Kriterien für den Einstieg in die Regelförderung sind voraussetzungsvoll, und mit der Einstiegsförderung ist ein Jugendverband meist noch nicht in der Lage, eine Geschäftsstelle zu unterhalten. Gezielte Strukturförderungen können den Einstieg in das Fördersystem erleichtern, indem sie Verbände in deren Aufbau unterstützen. Doch auch die zeitlich befristeten Strukturförderungen sichern nicht den Einstieg ins Regelsystem. Verbandsaufbau benötigt Zeit. Zudem haben sich die Lebensrealitäten junger Menschen geändert und führen zu einer (noch) höheren Fluktuation unter den Engagierten. Nicht zu vergessen ist die (oft erzwungene) Auseinandersetzung mit Rassismus und Diskriminierung, die andere Themen verdrängt.

Weitere Schritte zur Etablierung in der Jugendverbandslandschaft können die Mitgliedschaft in Jugendringen und die Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe sein. Einer der wohl relevantesten Vorteile einer Mitgliedschaft in einem Jugendring ist die Teilhabe an jugendpolitischen Positionierungen und Forderungen und daraus folgend die Repräsentanz in politischen Prozessen. Zudem sind Jugendringe Foren zum Austausch und zur Zusammenarbeit. Die Kriterien zur Mitgliedschaft in Jugendringen betreffen unter anderem die Größe des Verbands und seine Reichweite. Erfüllt ein Verband diese Kriterien nicht, gibt es Modelle der Anschlussmitgliedschaft. Die Anerkennung als freier Träger öffnet u.a. den Zugang zu mehr Fördermöglichkeiten und vielerorts zur Juleica-Trägerschaft.

Powersharing, Allianzbildung – und Offenheit für vielfältiges Engagement

Um die strukturelle Teilhabe von postmigrantischen Jugendverbänden zu unterstützen, ist Solidarität von jenen gefragt, die sich bereits innerhalb der Jugendverbands- und Jugendhilfestrukturen bewegen. Powersharing und Allianzbildung kommen hier eine besondere Bedeutung zu. Powersharing bedeutet, dass strukturell privilegierte Akteur_innen mit weniger privilegierten Akteur_innen Macht und Ressourcen teilen. In der Jugendverbandsarbeit können das Räume und Materialien, aber auch Wissen, Informationen, verbandliche Infrastruktur sowie der Zugang zu Arenen der Repräsentation sein.

Für ein Feld wie die Jugend(verbands)arbeit muss aber auch bewusst sein, dass strukturell privilegierte Akteur_innen ebenfalls ziemlich begrenzten Ressourcen gegenüberstehen. Hier müssen Allianzen zwischen allen Verbänden gebildet werden, also sowohl innerhalb als auch außerhalb der Strukturen, um sich gemeinsam dafür einzusetzen, jugendliches Engagement und Jugendverbände zu fördern. Für einen Verband, der neu oder noch nicht in den Strukturen ist, ist es schwer, den ersten Schritt zu machen. An dieser Stelle sind die strukturell erfahrenen Verbände gefragt, Allianzen zu initiieren. Jugendringe wiederum sind gefordert, aktiv einzuladen und Formate zur Mitarbeit, die den  Ressourcen aller Eingeladenen entsprechen, zu organisieren. So können wichtige Räume zur Diskussion und für Aushandlungsprozesse entstehen – auch über Zugänge und Fragen zu Mitgliedschaft und Förderung.

Schließlich ist auch zu fragen, ob die unterschiedlichen, flexiblen Lebensrealitäten junger Menschen nicht ebenso unterschiedliche und flexible Engagementformen erfordern, und dementsprechend bei der Förderung dieser Engagementformen neue Wege beschritten werden müssen. Für Jugendringe – und andere Dachstrukturen – würde das bedeuten, Foren zum Austausch und zur Zusammenarbeit zu öffnen, in denen sowohl Jugendverbände als auch Akteur_innen zusammentreffen, die sich in einem anderen Format organisieren. Eine gemeinsame jugendpolitische Richtung könnte dann sein, für mehr Wahrnehmung unterschiedlicher Konzepte jugendlichen Engagements einzutreten und sich dafür stark zu machen, diese Formate zu unterstützen.

Die Autorin

Jaqueline Kauka ist seit 2020 Referentin für Grundsatzfragen im Landesjugendring Berlin. Davor war sie Referentin für diversitätssensible Öffnungsprozesse und für Jugendverbandsarbeit mit jungen Geflüchteten im Landesjugendring Berlin und hat zudem den Jugendmigrationsbeirat Berlin in seinem Aufbau begleitet.